Lernpfad 1: Basiswissen
Geschlecht und Gesundheit

Lernmodul 6: Begriffe die man kennen sollte

Bearbeitung ca. 15-20 Min.


„Geschlecht“ und „sexuelle Orientierung und Lebensweise“ sind miteinander verknüpft und stellen doch verschiedene Konzepte dar. Dieses Lernmodul geht auf diese Verknüpfungen und Abgrenzungen ein und stellt einige wichtige Begriffe vor.
Im ersten Teil werden die Begriffe „geschlechtliche Heterogenität“ und „geschlechtliche Minderheiten“ vorgestellt. Der zweite Teil widmet sich dem Bereich „sexuelle Orientierung und Lebensweise“.
Ein weiterer Abschnitt geht auf geschlechtergerechte Sprache ein, insbesondere auf Schriftsprache im Gesundheitswesen.

Lernziele:

  1. „Geschlecht“ und „sexuelle Orientierung und Lebensweise“ sind verschiedene, jedoch miteinander verwobene Konzepte.
  2. Es ist sinnvoll, sich mit dem eigenen Verständnis der verschiedenen Begriffe zu befassen.
  3. Es gibt verschiedene geschlechtersensible Schreibweisen, insbesondere das Gender-Sternchen und den Gender-Gap.

Was denken Sie zu folgender Frage?

Denken Sie an das, was Sie über Geschlecht wissen. Wie eng sind für Sie „Sexualität“ und „Geschlecht“ miteinander verbunden?
Sexualität und Geschlecht sind für mich …

Bitte schieben Sie den Regler auf die für Sie passende Position. Sie können die Lerneinheit nur abschließen, wenn Sie den Regler bewegt haben.

Geschlechtliche Heterogenität

Sie haben in den vorangehenden Lernmodulen bereits erfahren, dass verschiedene Konzepte von Geschlecht existieren und diskutiert werden. Gerade in der Medizin bestand die Vorstellung, dass Geschlechterkategorien binär ausgeprägt sind, sich also alle Menschen anhand der Anatomie in „weiblich“ oder „männlich“ einteilen lassen würden und diese Zuordnung dann auch das ganze Leben hindurch eindeutig und stabil sei.

Der Begriff der geschlechtlichen Heterogenität lässt sich im Gegensatz zu dieser Annahme verstehen: Hinsichtlich der verschiedenen Aspekte und Dimensionen, die der Oberbegriff Geschlecht umfasst, gibt es ein Spektrum von Möglichkeiten. Die Vorstellung von Heterogenität als Verschiedenheit von Geschlecht soll dies verdeutlichen und auch helfen, die Lebensrealitäten von Menschen mit nicht-geschlechterkonformen Biografien und Körpern sichtbarer zu machen.

Heterogenität, Diversität, Vielfalt – alles dasselbe?

Manche Menschen sprechen anstatt von geschlechtlicher Heterogenität von geschlechtlicher Diversität oder geschlechtlicher Vielfalt. In diesem Selbstlernangebot haben wir uns für den Begriff „Heterogenität“ entschieden.

Wir halten Heterogenität für den passenderen und präziseren Begriff, um dem Umstand gerecht zu werden, dass es sich bei Geschlecht um ein komplexes Konzept handelt, bei dem gesellschaftliche Machtverhältnisse eine bedeutende Rolle spielen. Geschlecht ist nicht beliebig innerhalb von Gesellschaften. Für die Frage, wie wir heute über Geschlecht nachdenken, geben die sozialen Verhältnisse den Rahmen vor. Und Menschen erfahren verschiedene Grade an Sicherheit, Akzeptanz und Unterstützung in dieser Gesellschaft in Abhängigkeit davon, in welcher geschlechtlichen Situation sie leben.

Dies wird unseres Erachtens im Begriff Heterogenität besser abgebildet als in „Diversität“ oder „Vielfalt“. Zudem möchten wir einer Verwechslung von „Diversität“ und der Bezeichnung „divers“ als dritter Option des geschlechtlichen Personenstandes entgegenwirken.

Geschlechtliche Minderheiten

Als geschlechtliche Minderheiten werden all diejenigen zusammengefasst, die körperlich oder biografisch einen Lebenslauf aufweisen, der nicht kohärent und eindeutig geschlechtlich männlich oder geschlechtlich weiblich ist. Der Begriff wird in der medizinischen Fachliteratur regelmäßig verwendet, im Englischen als gender minorities oder sex/gender minorities.

Trans und inter* Personen fallen unter diesen Sammelbegriff, jedoch auch etliche weitere Personen, die nicht unbedingt inter* und / oder trans sind. Ebenfalls in diese Sammelkategorie fallen beispielsweise nicht-geschlechterkonform lebende Personen, die sich nicht als trans bezeichnen, oder auch Menschen, die sich von der Selbstbezeichnung her außerhalb des Zweigeschlechtersystems verorten, ohne sich als trans zu sehen.

Die Selbstbezeichnungen und Lebensweisen von Menschen können sehr unterschiedlich sein. Hierauf wird auch der nachfolgende Lernpfad noch näher eingehen.


Bitte setzen Sie sich mit den folgenden Fragen aus­ein­ander.

Welche Begriffe verwenden Sie selbst für sich und Ihre Geschlechtlichkeit? Gehören Sie einer geschlechtlichen Minderheit an oder nicht?
Bitte klicken Sie auf „Weiter“, wenn Sie sich mit den Fragen auseinandergesetzt haben.

Unter sexueller Orientierung und Lebensweise wird – ausgehend von der eigenen Geschlechtlichkeit einer Person – verstanden, auf Personen welchen Geschlechts sich ein Mensch romantisch bzw. sexuell bezieht. In der Gesundheitsforschung werden dabei zumeist drei Aspekte unterschieden:

  • Handeln: Mit Personen welchen Geschlechts ist ein Mensch sexuell aktiv?
  • Anziehung: Von Personen welchen Geschlechts fühlt sich ein Mensch angezogen?
  • Selbstbezeichnung: Wie benennt ein Mensch die eigene sexuelle Identität?

Bei genauerer Betrachtung stellt auch sexuelle Orientierung und Lebensweise einen ähnlich komplexen Oberbegriff über verschiedene Dimensionen und Aspekte des menschlichen Lebens dar wie der Begriff Geschlecht (vgl. nachfolgende Abbildung).

Beide Konzepte – „Geschlecht“ und „sexuelle Orientierung und Lebensweise“ – sind miteinander verbunden: Etliche Begriffe, mit denen Menschen ihre sexuelle Orientierung und Lebensweise beschreiben, beinhalten eine Referenz auf die Geschlechtlichkeit des Gegenübers in Relation zur eigenen Geschlechtlichkeit.


Dimensionen von sexueller Orientierung und Lebensweise, basierend auf: Dennert, 2023

Heterosexualität – Sexuelle Minderheiten

Als heterosexuell werden Personen bezeichnet, die als Mann oder Frau leben und sich sexuell auf das jeweils andere Geschlecht beziehen. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland lebt, liebt und begehrt heterosexuell. Inwiefern sich diese Mehrheit auch selbst als heterosexuell bezeichnet, ist unklar: Es gibt kaum Studien zu dieser Frage. Der Anteil von heterosexuellen Personen wird auf ca. 90 % in Deutschland geschätzt.

Die restlichen ca. 10 % der Bevölkerung sind bzw. leben nicht-heterosexuell. In der Gesundheitsforschung werden diese Personen oftmals unter der Bezeichnung „sexuelle Minderheiten“ (engl.: sexual minorities) zusammengefasst. Was Angehörige einer sexuellen Minderheit untereinander verbindet, ist, dass sie eben nicht der dominierenden Gruppe angehören und entsprechend eine persönliche und auch gesellschaftliche Geschichte mit Diskriminierung, rechtlicher Ungleichstellung und fehlender Akzeptanz ihrer Lebensweise haben.

Homosexualität – Bisexualität – Pansexualität – Asexualität

In Befragungen stellen diejenigen, die ihr Kreuz bei „homosexuell“ oder „bisexuell“ setzen, regelmäßig die größten Gruppen innerhalb der sexuellen Minderheiten.

Als homosexuell werden Menschen bezeichnet, die sich sexuell auf Menschen des Geschlechts beziehen, dem sie selbst angehören. Bis Anfang der 1990er Jahre wurde Homosexualität noch in der WHO-Klassifikation ICD als Erkrankung geführt, bevor die Entpathologisierung erfolgte. „Homosexuell“ wird auch als Selbstbezeichnung verwendet, häufiger von Personen, die schon älter sind, als von Personen, die jünger sind. Weitere Selbstbezeichnungen sind durchaus verbreiteter und entstammen sozialen Bewegungen, wie z.B. lesbisch oder schwul.

Als bisexuell werden Personen bezeichnet bzw. sie bezeichnen sich selbst so, die sich sexuell auf beide Geschlechter beziehen. Die Frage, was mit „beiden Geschlechtern“ gemeint ist, wird insbesondere von jüngeren bisexuellen Menschen oft bewusst offen gelassen: Es kann gemeint sein, sich auf Frauen und Männer gleichermaßen zu beziehen. Es kann auch gemeint sein, sich auf Menschen des eigenen und weiterer Geschlechter gleichermaßen zu beziehen. Diese letztgenannte Vorstellung lässt offen, wie viele Geschlechter letztlich existieren.

Pansexuell und omnisexuell wird als Bezeichnung für Menschen genutzt, die sich zu anderen unabhängig von deren Geschlecht sexuell bzw. romantisch hingezogen fühlen.

Auch asexuelle Menschen gehören zu den sexuellen Minderheiten: Asexuelle Menschen empfinden kein sexuelles Verlangen bzw. keine sexuelle Anziehung zu anderen Personen.

Gleichgeschlechtliche Beziehung – Gegengeschlechtliche Beziehung

Um insbesondere beim Sprechen über Beziehungen, Partner*innenschaften oder Ehen die sozialen Aspekte dieser Verbindungen hervorzuheben, werden in diesem Kontext häufiger die Bezeichnungen „gegengeschlechtlich“ (statt: heterosexuell) und „gleichgeschlechtlich“ (statt: homosexuell) verwendet. Als Selbstbezeichnung für die eigene Identität werden die Begriffe „gleichgeschlechtlich“ und „gegengeschlechtlich“ jedoch kaum verwendet.

Dieses Offenlassen der sexuellen Identität der Beteiligten kann von Vorteil sein: Nicht alle Menschen, die in einer gegengeschlechtlichen Beziehung leben, sind heterosexuell. Auch bisexuelle Menschen beispielsweise können in einer gegengeschlechtlichen (oder auch einer gleichgeschlechtlichen) Ehe leben.

Allerdings werfen die Begriffe gleich- und gegengeschlechtlich in einem geschlechtlich heterogenen Kontext auch Fragen auf: Wann gelten zwei Menschen als Personen des gleichen bzw. verschiedenen Geschlechts?

Diese Fragen werden immer wieder kontrovers diskutiert, insbesondere auch zwischen Personen, die sexuellen und / oder geschlechtlichen Minderheiten angehören. Im Rahmen dieser Selbstlernumgebung können sie sicher nicht geklärt werden.

Sexuelle Orientierung und Lebensweise: Fragen hilft

Auch hinsichtlich einer guten Versorgung von Angehörigen sexueller Minderheiten gilt deshalb die Empfehlung, Menschen offen nach den Informationen zu fragen, die für eine Behandlung von Bedeutung sind.

Sprache verbindet

Sprache bestimmt und strukturiert das Denken und beeinflusst so das Handeln und das Leben miteinander. Sprache verbindet Menschen und hilft, den gemeinsamen Alltag zu gestalten. In der Gesundheitsversorgung werden wichtige Informationen über die Situation von Patient*innen und Klient*innen sprachlich erfasst sowie schriftlich dokumentiert und weitergegeben. In der interdisziplinären Zusammenarbeit im Gesundheitswesen haben insbesondere auch diese geschriebenen Dokumente eine besondere Bedeutung. Zu denken ist hier z.B. an Übergabebriefe in der ärztlichen oder pflegerischen Versorgung, Dokumentationsbögen, Entlassungsbriefe aus dem Krankenhaus usw.

Gerade in der Gesundheitsversorgung ist es deshalb wichtig, sich auch mit der Schriftsprache zu beschäftigen, die man hier verwendet.

Anforderungen an schriftliche Dokumentationen hinsichtlich Geschlecht

Dokumentationen in der Gesundheitsversorgung müssen sprachlich präzise sein, um wichtige Informationen für sich selbst als Behandler*in für die zukünftige Verwendung zu dokumentieren oder um sie an Kolleg*innen weiterzugeben. Im Sinne des zentralen Leitsatzes der Gesundheitsversorgung „do no harm“ (keinen Schaden anrichten) ist es auch wichtig, akzeptierende Sprache zu verwenden und diskriminierende Ausdrücke zu vermeiden.

Geschlecht als Information in der Gesundheitsversorgung

Die Verwendung einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsbezeichnung für Patient*innen oder Klient*innen ist bereits weit verbreitet. Regelmäßig findet sich eine Anrede einer Klientin als „Frau …“ oder eines Patienten als „Herr …“. Im weiteren Verlauf der Dokumentation wird oft auch abgekürzt: „die Pat.“ oder „der Pat.“ für die Patientin oder der Patient.

Das Geschlecht von Patientinnen und Klientinnen nicht zu benennen und stattdessen das sogenannte generische Maskulinum zu verwenden, ist in der Gesundheitsversorgung eher unüblich. Mit generischem Maskulinum ist gemeint, alle Menschen gleichermaßen mit der sprachlich männlichen Form zu adressieren. Es wird als unpräzise und irreführend empfunden, wenn bei Weiterleitungen von Patient*innen eine Frau als „der Patient“ vorgestellt wird.

Geschlechtliche Heterogenität in der Sprache

Ebenso bedeutsam ist es für die Versorgung, geschlechtliche Heterogenität angemessen abzubilden. Zum einen signalisieren Sie hierdurch gegenüber Klient*innen und Patient*innen, dass Sie diese wichtige Information wahrgenommen haben. Zum anderen teilen Sie diese Information so z. B. mit weiterbehandelnden Kolleg*innen, die dann bessere Ausgangsvoraussetzungen für eine fachkompetente Versorgung der betreffenden Person haben.

In der gesprochenen Sprache wird das, was hier in der Selbstlernumgebung als Gender-Sternchen im Wort steht, als kurzer Stopp im Wort deutlich gemacht (sog. Glottisschlag): Therapeut*innen und Klient*innen zum Beispiel, während in den Wörtern Therapeutinnen und Klienten keine Pause vor der Wortendung zu hören ist.

Geschlechtergerechte Schriftsprache

Neben dem Gender-Sternchen (Asterisk) gibt es in der Schriftsprache weitere Möglichkeiten, um geschlechtliche Heterogenität deutlich zu machen. Häufig verwendet wird auch der Unterstrich (Gender Gap): Patient_innen und Klient_innen.

In der Aussprache unterscheiden sich die Formen nicht: Praxisassistent*in und Praxisassistent_in hören sich gleich an.

Von der Bedeutung her gibt es leichte Unterschiede zwischen beiden Varianten: Während der Gender Gap eher auf das Kontinuum zwischen männlich und weiblich verweist, füllt das Gender-Sternchen diesen Raum visuell mit einem Symbol. Wir verwenden in diesem Webangebot den Asterisk unter anderem auch deshalb, weil der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband seine Verwendung gegenüber dem Unterstrich eher empfiehlt. (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband, 2021)

Eine weitere Möglichkeit ist, Begriffe zu verwenden, die Geschlecht eher verschleiern: Studierende, Auszubildende etc. Es ist in der Gesundheitsversorgung jedoch nicht immer sinnvoll, z.B. von einer „zu untersuchenden Person“ zu sprechen statt von einer Patient*in, einer Patientin oder einem Patienten.

Für Übergabebriefe und Dokumentationen, die für die Weitergabe an Dritte bestimmt sind, ist es empfehlenswert, mit der Person, die Sie versorgen, die Sprachverwendung wenn möglich kurz abzusprechen.

Chancen für geschlechtergerechte Sprache

Geschlechtergerechte Sprache signalisiert Offenheit für Menschen aller Geschlechter: Charlotte Wunn erzählt eine eigene Erfahrung dazu.

„Geschlecht“ und „sexuelle Orientierung und Lebensweise“ sind miteinander verknüpft und stellen doch verschiedene Konzepte dar.
Beide Lebensbereiche unterliegen zum einen gesellschaftlichen Einflüssen und sind zum anderen nah in den persönlichen und identitären Lebensbereichen von Menschen angesiedelt.
In der Gesundheitsversorgung ist es wichtig, nach den Informationen zu fragen, die Sie für die Versorgung benötigen. Es ist weniger wichtig, die Vielzahl möglicher Begriffe selbst zu kennen, die in der Diskussion über Geschlecht und sexuelle Orientierung und Lebensweise verwendet werden.

Lernziele:

  1. „Geschlecht“ und „sexuelle Orientierung und Lebensweise“ sind verschiedene, jedoch miteinander verwobene Konzepte.
  2. Es ist sinnvoll, sich mit dem eigenen Verständnis der verschiedenen Begriffe zu befassen.
  3. Es gibt verschiedene geschlechtersensible Schreibweisen, insbesondere das Gender-Sternchen und den Gender-Gap.

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (Hg.) (2021): Gendern. Online verfügbar unter https://www.dbsv.org/gendern.html#barrierefreiheit, zuletzt geprüft am 06.10.2022.