Lernpfad 2: Aufbauwissen
Geschlecht und Gesundheit

Lernmodul 1: Wie Menschen ihr Geschlecht bezeichnen

Bearbeitung ca. 15-20 Min.


Wie bezeichnen sich Menschen hinsichtlich ihres Geschlechts und wie möchten sie angesprochen werden in der Gesundheitsversorgung? In diesem Modul können Sie mehr dazu erfahren und sich über Ihr eigenes Vorgehen am Arbeitsplatz Gedanken machen.

Lernziele:

  1. Die gewünschte Anrede wird im Versorgungsalltag benötigt. Es ist wichtig, danach auf geeignete Weise zu fragen.
  2. Menschen verwenden eine Selbstbezeichnung für ihr Geschlecht. Wenn diese Information wichtig ist, ist es sinnvoll, auf eine respektvolle Weise danach zu fragen.
  3. Das konkrete Vorgehen ist angepasst an die jeweilige Kontaktsituation in der Gesundheitsversorgung. Es gibt verschiedene Möglichkeiten und Strategien, die man nutzen kann.

Was denken Sie zu folgender Frage?

Wie leicht oder schwer ist es für Sie, Patient*innen und Klient*innen in Ihrem beruflichen Alltag mit der Anrede anzusprechen, die diese für sich wünschen?

Bitte schieben Sie den Regler auf die für Sie passende Position. Sie können die Lerneinheit nur abschließen, wenn Sie den Regler bewegt haben.

Die Bedeutung der namentlichen Ansprache

Im medizinischen Kontakt ist es aus verschiedenen Gründen wichtig, Klient*innen und Patient*innen mit ihrem Namen anzusprechen. Zum einen entspricht dies den höflichen Umgangsformen. Und zum anderen stellt die direkte Ansprache einen wichtigen Aspekt der Behandlungssicherheit dar: Gerade in Settings, in denen Sie nicht alle Patient*innen bereits kennen, stellen Sie so auch sicher, dass Sie auch wirklich die Person behandeln oder untersuchen, deren Akte Sie in den Händen halten.

Zur Ansprache als „Frau“ oder „Herr“

Die namentliche Ansprache ist ein alltäglicher Routinevorgang und zumeist bemühen sich alle, andere korrekt anzusprechen. Hierzu werden häufig die Anreden „Herr“ oder „Frau“ verwendet. Die Entscheidung darüber, welche Ansprache genutzt wird, wird zumeist automatisiert aufgrund von erlernten Mustern getroffen, nach denen wir Menschen in Geschlechterkategorien einteilen. Für etliche Patient*innen und Klient*innen in der Gesundheitsversorgung ist dieser Umgang mit der Zuordnung zu Geschlechterkategorien und der verwendeten Ansprache nicht weiter problematisch. Bei einer Person, die von anderen als Mann identifiziert wird, sich selbst so sieht und dann als „Herr“ angesprochen wird, mag an dieser Stelle kein Problem entstehen.

Was kann daran problematisch sein?

Geschlechtlich non-konform aussehende und lebende Menschen und Angehörige geschlechtlicher Minderheiten machen jedoch häufig die Erfahrung, dass sie nicht so angesprochen werden, wie sie es möchten. Ihnen wird auf diese Weise auch gleichzeitig signalisiert, dass sie nicht in der Geschlechtskategorie wahrgenommen werden, in die sie sich selbst einordnen. Und allen Menschen vermittelt ein solches Vorgehen, dass sie zu einem wichtigen Aspekt ihrer Existenz – ihrem geschlechtlichen Sein – nicht selbst gefragt werden, sondern Vorannahmen erleben. Das an sich kann ein Problem darstellen, unabhängig davon, ob die Zuschreibung im Einzelfall als stimmig erlebt wird oder nicht.

Welche Folgen können für das Vertrauensverhältnis entstehen?

In der empirischen Studie des Projekts InTraHealth (2020) stellten die befragten inter* und trans Personen das Verwenden einer nicht gewünschten Anrede in der Gesundheitsversorgung als gravierende Schwierigkeit dar. So schilderten Studienteilnehmende, hierdurch das Gefühl zu bekommen, nicht wahrgenommen und nicht respektiert zu werden. Eine Vertrauensbasis zu Behandler*innen kann so nur schwer entstehen. In einer gesellschaftlichen Situation, in der ihre Identität vielfach auch im Alltag von anderen in Frage gestellt wird, wird so auch diese konkrete Gesundheitseinrichtung als unsicherer Ort wahrgenommen.

Es lohnt sich, Routinen zu überdenken

Durch vergleichsweise einfache Maßnahmen kann dies vermieden werden. Das Verwenden der korrekten Ansprache und der Respekt für die geschlechtliche Selbstbezeichnung von Patient*innen und Klient*innen vermittelt eine positive Erfahrung, die sehr zur Qualität der Versorgung und damit zur Förderung von Gesundheit beitragen kann.

Respektvoller Umgang mit geschlechtlicher Individualität

Antke Antek Engel plädiert für einen respektvollen Umgang mit Menschen hinsichtlich ihres Geschlechts in der Gesundheitsversorgung.

Möglichkeiten für die Ansprache von Menschen

Die gängigsten Möglichkeiten für die namentliche Anrede von erwachsenen Patient*innen und Klient*innen sind „Herr“ oder „Frau“ sowie die Ansprache mit Vor- und Nachname und dem höflichen „Sie“. Aus „Frau Meyer, kommen Sie bitte ins Sprechzimmer“ wird dann „Claudia Meyer, kommen Sie bitte ins Sprechzimmer“. Zu beachten ist hier, dass insbesondere manche inter* und trans Personen einen Vornamen verwenden, der (noch) nicht in den Ausweisdokumenten steht.
Diese Situation entsteht zum Beispiel dann, wenn Personen bereits im Transitionsprozess sind, aber die Vornamensänderung standesamtlich noch nicht vollzogen ist. Auch nutzen manche Menschen ganz allgemein aus biografischen bzw. persönlichen Gründen einen anderen Rufnamen als den Namen in ihren Dokumenten.

Geschlechtsneutrale Ansprache ist nicht immer die beste Lösung

Was möglicherweise erst einmal sinnvoll erscheint, um alle Menschen gleich zu behandeln, wird nicht immer von allen als passend erlebt: die geschlechtsneutrale Ansprache mit Vor- und Nachname.

Etliche Menschen – unabhängig von der geschlechtlichen Biografie – wünschen sich eine direkte Ansprache als Herr oder Frau und reagieren irritiert auf ein „Guten Tag, Vorname Nachname“. Das können auch inter* oder trans Menschen oder andere geschlechtlich non-konform lebende Menschen sein. Sie erleben sich selbst als Mann oder Frau und haben schon häufiger erfahren, dass andere ihnen das Frau- oder Mann-Sein abgesprochen haben.
In allen diesen Situation ist eine geschlechtsneutrale Ansprache nicht die beste Lösung.

Nach der passenden Anrede fragen

Die Studie des Projekts InTraHealth (2020) hat gezeigt, dass sich viele inter* oder trans Menschen wünschen, nach der bevorzugten Anrede gefragt zu werden. Oft teilen sie auch von sich aus die gewünschte Anrede mit, falls sie davon ausgehen, andernfalls nicht korrekt angesprochen zu werden.

Für die Abläufe in Ihrem eigenen Tätigkeitsgebiet kann es deshalb sinnvoll sein, Routinen zu entwickeln, um proaktiv nach der gewünschten Anrede zu fragen und anschließend diese Informationen in den Unterlagen nachhaltig zu dokumentieren.

Wie möchten Menschen angesprochen werden?

Charlotte Wunn und Sandrao Mendig sprechen über die Personalpronomen und Anreden, die sie für sich verwenden.

Bitte setzen Sie sich mit den folgenden Fragen aus­ein­ander.

Wie gehen Sie im Moment vor, wenn Sie Ihre Klient*innen und Patient*innen ansprechen? Sprechen Sie Menschen mit Frau bzw. Herr oder mit Vor- und Nachname an? Welche Schwierigkeiten könnten dabei auftreten oder sind Ihnen vielleicht schon begegnet bei diesem Vorgehen?
Bitte klicken Sie auf „Weiter“, wenn Sie sich mit den Fragen auseinandergesetzt haben.

Anrede versus geschlechtliche Selbstbezeichnung

In den vorangegangenen Abschnitten haben Sie sich vor allem mit der Ansprache von Menschen befasst. Nun soll es um die geschlechtliche Selbstbezeichnung gehen. Mit geschlechtlicher Selbstbezeichnung sind die Begriffe gemeint, die Menschen verwenden, um ihr Geschlecht zu bezeichnen.

Diese Information kann – je nach Situation – für den direkten Versorgungskontakt relevant sein. Sie kann auch relevant sein für die medizinische Dokumentation und die Überleitungsdokumente in pflegerischer und ärztlicher Versorgung. Wenn dies in Absprache mit den Patient*innen und Klient*innen erfolgt, kann es ihnen möglicherweise ersparen, sich bei jedem Kontakt im Gesundheitswesen erneut erklären zu müssen.

Auch wenn möglicherweise zwischen geschlechtlicher Selbsteinordnung und gewünschter Anrede ein Zusammenhang besteht, so kann doch nicht von dem einen auf das jeweils andere geschlossen werden.

Die Selbstbezeichnung erfragen

Die Selbstbezeichnungen, die Menschen für sich benutzen, sind sehr vielfältig. Auch wie die einzelnen Menschen die verwendeten Begriffe mit Inhalt füllen, kann durchaus verschieden sein. Ein Wort bedeutet also nicht immer das Gleiche für verschiedene Personen.

Wie bei der Ansprache auch, ist die Nachfrage die beste Möglichkeit, um die geschlechtliche Selbstbezeichnung in Erfahrung zu bringen. Hier ist zu beachten, dass die gewählte Selbstbezeichnung sich mit der Zeit verändern kann und dass sie auch situativ sein kann. Das bedeutet: Insbesondere Menschen, die bereits Diskriminierung aufgrund ihrer geschlechtlichen Situation erfahren haben, nutzen – je nachdem, für wie sicher sie die jeweilige Situation halten – verschiedene Begriff für sich. Es kann also sein, dass erst wenn ein Vertrauensverhältnis entstanden ist, eine Selbstbezeichnung genannt wird, die auf eine Minderheitenposition hinweist.

Gleichzeitig signalisiert eine offene respektvolle Frage, wenn sie für Patient*innen und Klient*innen in einem nachvollziehbaren Bezug zur Versorgungssituation steht, dass Sie als Gesundheitsfachkraft offen mit dem Thema umgehen können.

Welche Begriffe werden verwendet?

Auch wenn Selbstbezeichnungen von Bedeutung sind, heißt das nicht, dass Sie alle Selbstbezeichnungen kennen müssen. Es ist durchaus möglich, nur dann, wenn es für die Versorgung relevant ist, um eine kurze Erläuterung zu bitten. Auch ist es sinnvoll, mit der Person abzusprechen, wie Sie mit dieser Selbstbezeichnung gut umgehen können: Kann und soll sie in den medizinischen Unterlagen vermerkt werden? In welcher Form kann und soll in Überleitungsdokumenten ein Hinweis auf die geschlechtliche Situation erfolgen?

Als Selbstbezeichnung nutzen Menschen Substantive oder auch Adjektive, z.B. Mann, Trans, Transmann, trans Frau, Frau, transgeschlechtliche Person, transsexueller Mann, weiblich, männlich, genderqueer, geschlechtlich nicht-binär, intergeschlechtlich, inter* Mensch und weitere. Diese Selbstbezeichnungen beziehen sich ausschließlich auf die geschlechtliche Situation. Darüber hinaus gibt auch Selbstbezeichnungen, die gleichzeitig eine Aussage über die geschlechtliche Selbstbezeichnung wie über die sexuelle Orientierung darstellen (können), wie z.B. Schwuler, Lesbe, Butch und weitere.

Muss ich das wirklich wissen?

Diese Frage ist sehr berechtigt, denn es sind Versorgungssituationen denkbar, in denen eine Frage nach der Selbstbezeichnung als grenzüberschreitend empfunden werden kann. Wenn Sie sich nicht sicher sind, könnten Sie genau diese Unsicherheit ansprechen und als Frage formulieren, beispielsweise: „Sie haben auf dem Aufnahmebogen angegeben, dass Sie nur mit dem Vornamen und möglichst ohne geschlechtliche Anrede angesprochen werden möchten. Ich frage mich, ob es noch etwas gibt, was ich im Moment hinsichtlich Ihres Geschlechts wissen sollte, um Sie gut versorgen zu können?“

Wie bezeichnet eine inter* Person ihr Geschlecht?

Charlotte Wunn und Sandrao Mendig sprechen über ihre Verwendung der Begriffe inter* und intergeschlechtlich und weiterer Begriffe im Kontext Intergeschlechtlichkeit.

Wie bezeichnet eine trans Person ihr Geschlecht?

Andrea Jüsgen und Eric Barth sprechen über ihre Verwendung von Begriffen im Kontext Transgeschlechtlichkeit.

Bitte setzen Sie sich mit den folgenden Fragen aus­ein­ander.

Denken Sie an Ihr berufliches Umfeld: Wie sehen in Ihrer beruflichen Praxis typische Kontaktsituationen aus? Welche Möglichkeiten haben Sie, um Vorannahmen zu umgehen und Kontakte offen zu gestalten?
Bitte klicken Sie auf „Weiter“, wenn Sie sich mit den Fragen auseinandergesetzt haben.

Eine korrekte Anrede trägt zu einem guten Verhältnis im Kontakt mit Patient*innen und Klient*innen bei. Die beste und oft einzige Möglichkeit, die gewünschte Anrede zu erfahren, ist die direkte Nachfrage.
In manchen Situationen kann es auch von Bedeutung sein, welche geschlechtliche Selbstbezeichnung Menschen verwenden.

Lernziele:

  1. Die gewünschte Anrede wird im Versorgungsalltag benötigt. Es ist wichtig, danach auf geeignete Weise zu fragen.
  2. Menschen verwenden eine Selbstbezeichnung für ihr Geschlecht. Wenn diese Information wichtig ist, ist es sinnvoll, auf eine respektvolle Weise danach zu fragen.
  3. Das konkrete Vorgehen ist angepasst an die jeweilige Kontaktsituation in der Gesundheitsversorgung. Es gibt verschiedene Möglichkeiten und Strategien, die man nutzen kann.

Diese kurze Checkliste soll Ihnen helfen, Themen im Zusammenhang mit der Ansprache oder geschlechtlichen Selbstbezeichnung in Ihrem Praxisalltag zu reflektieren.

Checkliste hier herunterladen