Lernpfad 5: Rahmenbedingungen in der Gesundheitsversorgung
Lernmodul 2: Antidiskriminierung und Intervention
Bearbeitung ca. 15-20 Min.
1. Erste Schritte & Lernziele
Dieses Modul greift die Themen Diskriminierung und Antidiskriminierung nochmals auf und vertieft Situationen, die in der Praxis der Gesundheitsversorgung häufiger vorkommen als manchmal vermutet: Situationen interpersoneller Diskriminierung.
Der Fokus liegt dabei auf Ihren Handlungsmöglichkeiten:
- Eingreifen in diskriminierenden Situationen
- Nutzen der bestehenden Fortbildungsmöglichkeiten
Das Ziel ist, dass Sie Anregungen für Ihre eigene berufliche Situation mitnehmen können und für die Möglichkeiten sensibilisiert werden, Diskriminierung und den Folgen von Diskriminierung im Gesundheitswesen entgegenzuwirken.
Lernziele:
- Sie kennen Handlungsmöglichkeiten, um Diskriminierung im Arbeitsumfeld vorzubeugen und entgegenzuwirken.
- Ansprechbar sein und jeden Vorfall ernst nehmen stellen wichtige Interventionen dar.
Bitte setzen Sie sich mit der folgenden Frage auseinander:
Wissen Sie noch, wie in dieser Lernplattform „Diskriminierung“ definiert wurde?
Machen Sie sich gerne Notizen – Sie können später im Lernmodul nochmals darauf zurückkommen.
Tipp: Falls Sie nachsehen möchten: Die Definition steht in Lernpfad 2 im Lernmodul 4 Diskriminierung und Gesundheit.
2. Interpersonelle Diskriminierung
Wiederholung und Übersicht: Was ist Diskriminierung?
Der Begriff „Diskriminierung“ wird sehr verschieden verwendet und vermutlich haben Sie auch selbst ein eigenes Verständnis davon. Die Auffassung, an der sich diese Lernplattform orientiert, haben Sie bereits ausführlicher in Lernmodul 2.4 über „Diskriminierung und Gesundheit“ kennenlernen können.
Zusammenfassend verstehen wir unter Diskriminierung (Scherr, 2017):
- dass Menschen aufgrund bestimmter Merkmale (vermeintlich) eindeutig einer Kategorie bzw. Gruppe zugeordnet werden (Kategorisierung)
- und sie nicht als ebenso gleichwertige gesellschaftliche Mitglieder angesehen werden wie der gesellschaftliche „Normalfall“ (soziale Hierarchisierung).
Der angenommene „Normalfall“ ist der erwachsene, männliche, weiße, heterosexuelle deutsche Staatsbürger, der körperlich und psychisch gesund ist. Er hat einen guten sozialen Status und Bildung und entspricht kulturell und im Hinblick auf äußere Merkmale der Mehrheitsgesellschaft hierzulande. Hinsichtlich der Geschlechterbiografie ist damit auch gemeint, dass der „Normalfall“ im Lebensverlauf das hatte und hat, was als „männlicher“ Körper angesehen wird und so auch schon nach der Geburt diesen Personenstand erhalten hat.
Welche Funktionen hat Diskriminierung?
„Normalfall“ bedeutet, dass diese soziale Gruppe bewusst und unbewusst als die Norm angesehen wird, der positive Eigenschaften zugeschrieben werden und der bestimmte gesellschaftliche Ressourcen, Macht und Positionen zugesprochen werden. Andere Menschen werden als different, als abweichend angesehen. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer als „anders“ angesehenen sozialen Gruppe werden ihnen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, sie werden mit folgenreichen sozialen Vorstellungen konfrontiert und sollen eine mit weniger Macht und Ressourcen ausgestattete soziale Position einnehmen.
Dieser Begriff von Diskriminierung bildet dabei nicht nur als Momentaufnahme gegenwärtige soziale Verhältnisse ab. Der Begriff verweist auch auf Prozesse und Dynamiken in Geschichte und Gegenwart, die diese hierarchischen sozialen Ordnungen immer wieder herstellen, gestalten, stabilisieren und transformieren.
Diskriminierung ist also in der Zusammenfassung all das, was gesellschaftlich und historisch herausgebildete soziale Hierarchien zwischen Gruppen aufrechterhält. Soziale Hierarchien umfassen eine ungleiche und ungerechte Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen und von Macht.
Zusammenwirken von sozialen Verhältnissen
Im Leben von Menschen und in den Prozessen, die Gesellschaften gestalten, wirken verschiedene soziale Verhältnisse zusammen. Sie sind multidimensional oder „intersektional“ – das ist der Begriff, den diese Lernplattform verwendet (Crenshaw, 1989).
Diskriminierungsverhältnisse beeinflussen sich gegenseitig. Im Leben von mehrfachmarginalisierten Menschen bedeutet dies oft: Die Diskriminierungsverhältnisse verstärken sich gegenseitig.
Nachfolgend sehen Sie eine Abbildung von sozialen Ungleichheitsverhältnissen, die im Leben von Menschen zusammenwirken (mehr dazu im Lernmodul 2.4, in dem diese Abbildung ebenfalls gezeigt wird).
Zeichnung erstellt nach Dennert (2022)
Interpersonelle Diskriminierung
Diskriminierung umfasst verschiedene Ebenen und kann unterschiedliche Formen annehmen. Dieses Modul konzentriert sich nun abschließend nochmals auf die interpersonelle Ebene, also auf den direkten Umgang von Menschen miteinander im Kontakt.
Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung können dabei sowohl Klient*innen und Patient*innen als auch Gesundheitsfachkräfte erfahren oder auch ausüben. Auch Besucher*innen oder Angehörige bzw. das soziale Umfeld können auf unterschiedliche Weise beteiligt sein.
Formen interpersoneller Diskriminierung
Formen von interpersoneller Diskriminierung im direkten Umgang können sein (Richter, 2022):
- respektloser Umgang
- abwertende Aussagen, Zuschreibungen und Verwendung abwertender Begriffe
- Verweigerung von medizinischen oder pflegerischen Maßnahmen im Krankheitsfall, z. B. Vorenthalten von ausreichender Schmerzmedikation durch Fachkräfte
- Durchführen unnötiger oder unnötig schmerzhafter Eingriffe und Untersuchungen durch Fachkräfte
- Nicht-Eingreifen in diskriminierenden Situationen und bei Übergriffen
Sie sehen, dass einige Formen spezifisch sind für Behandlungs- und Versorgungssituationen, wie beispielsweise das Vorenthalten medizinischer oder pflegerischer Maßnahmen.
Derartiges Verhalten ist immer problematisch. Es stellt eine Diskriminierung dar, wenn es sich spezifisch gegen Angehörige bestimmter sozialer Gruppen richtet. So werden Angehörige bestimmter sozialer Gruppen im Versorgungsalltag mit ihren Beschwerden teilweise ernster genommen und andere weniger ernst. Es bestehen Vorurteile, dass Menschen mit einem bestimmten Aussehen, aus einem bestimmten Land, mit einem bestimmten nicht-geschlechterkonformen Auftreten etc. besonders dazu neigen würden, übermäßig „klagsam“ zu sein oder aber „sich einfach nicht so anstellen sollen“. Dies kann negative Auswirkungen auf die Behandlungsqualität haben und ist als eigenständige Diskriminierungsform im Gesundheitswesen an etlichen Stellen bereits dokumentiert. (Richter, 2022; Dennert, 2005)
Fokus: Handeln und Eingreifen in schwierigen Situationen
Insbesondere ein Aspekt wird im Mittelpunkt dieses Lernmoduls stehen: das Handeln und Eingreifen in schwierigen und potenziell diskriminierenden Situationen.
Diese Situationen können vielgestaltig sein. Denken Sie an die stationäre Versorgung, wo neben dem Personal und den Patient*innen auch Angehörige und Besucher*innen beteiligt sind. Oder an den Wartebereich in der ambulanten Versorgung, wo ebenfalls Begleitpersonen anwesend sein können.
Anhand einiger, ausgewählter Situationen gibt Ihnen dieses Modul Anregungen, wie Sie für sich einen Umgang mit möglicherweise schwierigen Situationen finden können.
3. Intervention bei interpersoneller Diskriminierung
Bitte setzen Sie sich mit den folgenden Fragen auseinander:
Was ist geschehen in dieser Situation? Woran haben Sie erkannt, dass es sich um Diskriminierung handelt? Von wem ging die Diskriminierung aus und gegen wen richtete sie sich? Wie haben Sie sich darin verhalten und wie zufrieden waren Sie mit Ihrem Verhalten?
Machen Sie sich gerne Notizen – Sie können später im Lernmodul nochmals darauf zurückkommen.
Diskriminierung kann mit und ohne Absicht erfolgen
Die meisten Menschen denken, dass diskriminierendes Handeln immer absichtsvoll geschieht auf der Grundlage von Vorurteilen oder persönlichen abwertenden Haltungen gegenüber anderen Menschen. Das kann der Fall sein: Es gibt Menschen, die der Ansicht sind, Menschen, die bestimmten sozialen Gruppen angehören, seien weniger wichtig als sie selbst – und die sich dann abwertend und gezielt verletzend verhalten.
Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass Menschen sich vielfach nicht vorsätzlich diskriminierend verhalten. Menschen handeln eben oft nicht „in böser Absicht“, wenn sie sich diskriminierend verhalten.
Viele Menschen haben sogar den Anspruch an sich, tolerant und akzeptierend zu sein und sich offen und eben nicht-diskriminierend anderen gegenüber zu verhalten. Wenn sie eigenes problematisches Verhalten erkennen, sind sie bereit, sich um Veränderungen zu bemühen.
Fachkräfte können Patient*innen entlasten
Stellen Sie sich diese Situation vor: In einem stationären Mehrbettzimmer erlebt ein*e Patient*in, dass ein*e Mitpatient*in über die geschlechtliche Situation eben dieser Patient*in spricht, beispielsweise am Telefon oder mit anwesendem Besuch. Die Patient*in möchte das nicht, denn ihre Biografie sieht sie als ihre private Angelegenheit an. Und zudem kennt sie die Situation, dass andere sie eben als „anders“ ansehen, was sie als Ausgrenzung empfindet.
Die Patient*in ist nun in der Situation, einen Umgang mit dem zu finden, was sie erlebt hat. Möglicherweise fühlt sie*er sich verletzt oder zornig oder fragt sich, ob sich eine solche Situation wiederholen könnte und wie sicher sie sich auf der Station fühlen kann.
In einer solchen Situation auch noch die Aufgabe zu übernehmen, mit der*dem Mitpatient*in zu sprechen und diese*n zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, ist viel verlangt. Doch oftmals wird genau das von Betroffenen von Diskriminierung erwartet: Sie sollen mit schwierigen Situationen klarkommen und gleichzeitig die Person aufklären und „weiterbilden“, von der die Diskriminierung ausgegangen ist.
Fachkräfte können Patient*innen hier in mehrfacher Hinsicht entlasten:
- die betroffene Patient*in (oder allgemein: Person) im Umgang mit der Situation unterstützen,
- die Kommunikation mit der Person übernehmen (oder unterstützen), von der das Handeln ausging,
- Verantwortung für die eigene Fortbildung zu Diskriminierung übernehmen,
- Maßnahmen zur Prävention derartiger Situationen für die Zukunft ergreifen.
Bitte setzen Sie sich mit den folgenden Fragen auseinander:
Wie würden Sie sich verhalten? Gibt es etwas, dass Sie dazu bewegen könnte, Ihr Verhalten für die Zukunft zu ändern? Was könnte das sein? Welche Art der Rückmeldung wünschen Sie sich in einer solchen Situation?
Wie geht es Ihnen, wenn Sie selbst Verhalten gegen sich als diskriminierend oder ausgrenzend erleben? Gibt es etwas, was Sie sich dann wünschen würden oder was Ihnen dann helfen würde?
Machen Sie sich gerne Notizen – Sie können gleich nochmals darauf zurückkommen.
Bitte setzen Sie sich mit den folgenden Fragen auseinander:
Was könnte die*der Patient*in benötigen, die sich gerade ausgegrenzt gefühlt hat und erlebt hat, wie private Informationen an Außenstehende weitergegeben wurden?
Welche Möglichkeiten könnten erfolgversprechend sein im Umgang mit der*dem Mitpatient*in, damit sich eine solche Situation nicht wiederholt?
Wer ist aus Ihrer Sicht zuständig, um in einer solchen Situation zu handeln? Inwiefern würden Sie sich vor dem Hintergrund Ihrer beruflichen Position selbst einbringen wollen und können?
Machen Sie sich gerne Notizen.
4. Wie intervenieren?
Ansprechbar sein
Etliche Menschen unterschätzen, wie häufig es zu diskriminierendem Verhalten kommt (Powell & Cochran, 2021). Deshalb halten sie es für unwahrscheinlich, dass es in ihrer Einrichtung zu solchen Vorfällen kommt. Die InTraHealth-Studie hat jedoch ergeben, dass die ganz überwiegende Mehrheit der inter* und trans Befragten bereits Diskriminierung – insbesondere: interpersonelle Diskriminierung – erlebt hat.
Es kann durchaus sein, dass sie Vorfälle direkt miterleben (Dimant et al., 2019). Einiges wird auch sicherlich geschehen, wenn sie nicht anwesend sind. In allen Situationen ist es für Betroffene von Diskriminierung wichtig, zu wissen, dass sie sich an das Personal einer Einrichtung wenden können, wenn sie Unterstützung benötigen.
Betroffene trauen sich oft nicht, solche Vorfälle anzusprechen, weil sie die Sorge haben, dass ihnen nicht geglaubt wird (Bockting et al., 2006). Alternativ befürchten Betroffene, dass sie selbst die Leittragenden sein werden, wenn sie problematisches Verhalten thematisieren (Alegria, 2011).
Wenn Sie Diskriminierung mitbekommen, ist es wichtig, zu intervenieren (Oransky et al., 2018). Das Handeln selbst richtet sich selbstverständlich auch danach, ob Sie direkt in der Situation dabei sind oder aber von einem früheren Vorfall Kenntnis erlangen.
Möglicherweise gibt es in einer Einrichtung eine Ansprech- oder Beschwerdestelle für Patient*innen, wenn es zu Schwierigkeiten in der Versorgung kommt. Auch auf Antidiskriminierungsleitlinien sollte z. B. bei Aufnahme hingewiesen werden. Diese Informationen bieten einen wichtigen Orientierungsrahmen, auch für Patient*innen und Klient*innen.
Vorfälle ernst nehmen
Wenn Menschen auf Sie zukommen, nehmen Sie die geschilderten Vorfälle ernst (Goldberg et al. 2019) und verharmlosen Sie sie nicht.
Gerade bei Diskriminierung und Gewalt ist es wichtig, klare Absprachen zu treffen. Das bedeutet auch, dass Sie mit einer betroffenen Person, die sich an Sie wendet, absprechen, wie mit den Gesprächsinhalten weiter umgegangen werden kann und soll und wer gegebenenfalls weiter einbezogen wird.
Inwiefern und auf welchem Wege erhält die betroffene Person nochmals eine Rückmeldung zum weiteren Vorgehen? Manche Menschen wünschen sich eine Rückmeldung, andere nicht.
Die eigenen Handlungsmöglichkeiten kennen
An wen können Sie sich wenden, falls Sie selbst kollegiale Rücksprache oder Unterstützung nach einer schwierigen Situation benötigen?
Es ist wichtig, die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu kennen. Besonders wenn Sie in einer Leitungsposition sind, ist es wichtig, ansprechbar zu sein für Menschen, die diskriminiert werden oder Fragen zu diesem Thema haben – und natürlich auch, wenn Sie in anderen Positionen arbeiten.
Die InTraHealth-Studie hat ergeben, dass etliche inter* und trans Patient*innen Diskriminierung von Gesundheitsfachkräften erlebt haben, die in der hierarchischen Struktur von Gesundheitseinrichtungen eher höher angesiedelt waren als niedriger. Dies waren zumindest die Vorfälle, die inter* und trans Menschen besonders in Erinnerung geblieben sind.
Dies bedeutet, dass Situationen auftreten werden, in denen es sinnvoll sein könnte, hierarchisch höher gestellte Kolleg*innen auf deren Verhalten anzusprechen. Wie dies gut gelingen kann, erläutern wir im folgenden Abschnitt.
Handeln bei einem gegenwärtigen Vorfall
Von Menschen, die Diskriminierung oder auch Gewalt erleben, werden das Wegschauen und die Passivität der weiteren Anwesenden auch als eigenständige Form von Diskriminierungserfahrung beschrieben. Wenn andere zu Zeug*innen werden und nicht eingreifen, kann das Gefühle des Ausgegrenztseins und In-Gefahr-Seins verstärken, die ohnehin durch eine Diskriminierung aufgerufen werden.
Es ist also wichtig und ein häufiger Wunsch von Betroffenen, Unterstützung zu erhalten und in der eigenen Handlungsfähigkeit gestärkt zu werden.
Für Anwesende bedeutet dies, dass sie eingeladen und aufgerufen sind, zu hilfreichen Zeug*innen zu werden. Die Anliegen und die Wünsche der direkt betroffenen Person stellen dabei den Orientierungspunkt dar.
Manchmal handeln andere Anwesende nämlich spontan auf eine Weise, die der betroffenen Person nicht weiterhilft oder die Situation sogar verschlimmern kann (Namie & Lutgen-Sandvik, 2010). Dies kann aus einer eigenen Unsicherheit heraus geschehen oder aber, wenn die eigenen Gefühle und Wünsche in den Mittelpunkt gestellt werden.
Es lohnt sich also, sich bereits vor möglichen schwierigen Situationen damit zu beschäftigen, wie ein sinnvolles Verhalten in einer diskriminierenden Situation aussehen kann.
Zunächst ist es dabei hilfreich, sich dem betroffenen Menschen zuzuwenden und zu zeigen, dass Sie die Diskriminierung als solche erkannt haben, ernst nehmen und nicht gutheißen (Volpe et al., 2019). Das kann verbal oder auch zunächst non-verbal durch Körpersprache oder Blickkontakt stattfinden.
Wenn es die Situation zulässt, sollten Sie anschließend erfragen, was die diskriminierte Person sich nun wünscht und diesen Wunsch dann wenn möglich unterstützen (Lowe et al., 2012).
Wenn Sie bereits zu der Situation selbst Ideen haben, wie Sie intervenieren würden, ist es sinnvoll, diese Vorschläge mit der betroffenen Person abzusprechen, bevor Sie eigenständig handeln. Bitte bedenken Sie: Diskriminierungen können sehr verletzen. Es geht in einer Situation darum, die Handlungsfähigkeit und die Selbstbestimmung von Betroffenen zu stärken.
Sollte die von der Diskriminierung betroffene Person Ihrem Interventionsvorschlag nicht zustimmen, dann sollte dies respektiert werden (Lowe et al., 2012). Später können Sie erneut das Gespräch suchen.
Manchmal kann es auch ein sinnvoller Schritt sein, die Situation vorerst gemeinsam zu verlassen. Die betroffene Person und auch Sie selbst erhalten dadurch Raum und Zeit, um einen Vorfall besser einzuordnen und um anschließend zu entscheiden, wie ein sinnvolles weiteren Vorgehen aussehen könnte (Spencer/Kulbaga 2021; Jamel 2018).
In manchen Situationen kann es eine sinnvolle Idee sein, sich direkt auch an die Person zu wenden, von der die Diskriminierung ausgeht. Bevor dies erfolgt, sollte das Einverständnis der diskriminierten Person zu diesem Vorgehen eingeholt werden. Denken Sie an die Situation im Mehrbettzimmer: Patient*innen verbringen viel Zeit miteinander – Fachkräfte verlassen den Raum wieder.
Wenn es sich um gezielte Diskriminierungen durch Worte oder Gesten handelt, kann es zur Deeskalation beitragen, der diskriminierenden Person in klaren Worten verbindlich zu sagen, dass derartige Aussagen und Verhalten nicht erwünscht sind und nicht geduldet werden. Dabei ist es wichtig, selbst nicht beleidigend oder abwertend zu sein.
Handeln in diskriminierenden Situationen
Sie haben hier die Möglichkeit, sich Notizen zum Vorgehen in Situationen zu machen, die Sie als diskriminierenden Vorfall wahrnehmen.
Ihre Notizen können Sie als pdf-Datei speichern oder ausdrucken. Ihre Antworten werden nicht auf dem Server gespeichert.
5. Prävention interpersoneller Diskriminierung
Was Einrichtungen tun können: Leitlinien, Schulungen, Fortbildungen
Schon mehrfach wurde auf die Bedeutung von Handlungsvorgaben und Leitlinien verwiesen, die Institutionen erarbeiten können, um Diskriminierung und Gewalt vorzubeugen und bei Vorfällen die Betroffenen zu entlasten.
Es wird empfohlen, dass Einrichtungen ein klares Verbot von körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt aussprechen (Grant et al., 2010; Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2021). Auch wenn diese Formen von Gewalt nicht den kompletten Bereich möglicher Diskriminierungen abdecken, so gibt ein Verbot doch einen klaren Rahmen vor und drückt aus, dass Betroffene von Gewalt mit Unterstützung rechnen können.
Darüber hinaus führt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2021) anhand des Vorgehens von Arbeitgeber*innen gegen sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz etliche weitere Handlungsmöglichkeiten für Einrichtungen auf. Dazu zählen Zertifizierungsprozesse, Fortbildungen und Schulungen der Mitarbeitenden, Informations- und Aufklärungsaktivitäten und Angebote für Betroffene von Diskriminierung und Gewalt.
Wenn Sie mehr über institutionelle Maßnahmen der Antidiskriminierung und Ihre persönlichen Handlungsmöglichkeiten darin erfahren möchten: Das Lernmodul „5.1. Handeln im institutionellen Rahmen“ hat diesen Schwerpunkt. Wenn Sie es übersprungen haben, könnten Sie dort nachlesen.
Für Einzelpersonen: Mit Fortbildungspunkten zertifizierte Angebote finden
Wenn Sie sich unabhängig von den Angeboten der Einrichtung, an der Sie arbeiten oder Ihre Ausbildung machen, weiterbilden möchten, gibt es hierfür etliche Möglichkeiten. Vielleicht sind Sie auch selbstständig bzw. freiberuflich tätig und fragen sich, welche Angebote es für Sie gibt.
Es ist so, dass für die wenigsten der Angebote eine Zertifizierung über die Landesärzte- oder Landespsychotherapeutenkammern beantragt wird. Mit Fortbildungspunkten zertifizierte Veranstaltungen finden Sie auch auf dem Internetauftritt und den dortigen Suchmasken der jeweiligen Landeskammer.
Weitere Fortbildungs- und Beratungsangebote finden
Bereits an anderer Stelle wurde auf Beratungsstellen und Fortbildungsangebote hingewiesen, die sich spezifisch dem Themenbereich LSBTIQ widmen. Solche Angebote finden Sie beispielsweise auf dem Regenbogenportal www.regenbogenportal.de.
Darüber hinaus existieren etliche weitere Angebote aus dem Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich, die ebenfalls hilfreich sein können. Wie Sie weiter oben im Lernmodul gesehen haben, haben auch wir versucht, etablierte Erkenntnisse aus dem Bereich der Arbeit gegen Rassismus auf antidiskriminierendes Handeln im Kontext der Gleichstellung von inter* und trans Personen zu übertragen.
Hier finden Sie einige Themenbereiche mit Bezug zu Antidiskriminierung und Gewalt in der Übersicht, die hilfreich sein können und möglicherweise auch in Ihrer Nähe oder online angeboten werden:
- Arbeit gegen Diskriminierung von LSBTIQ
- Antisexismus / Geschlechtergleichstellung
- Arbeit gegen sexualisierte Gewalt, Sexismus und Gewalt im Geschlechterverhältnis
- Angebote zur Arbeit gegen Rassismus
Anbieter*innen von Fort- und Weiterbildungen können sein – und diese Aufzählung ist erweiterbar –: Hochschulen und Universitäten, Beratungsstellen, gesellschaftspolitisch aktive Gruppen und Einrichtungen (Bürgerzentren etc.), Stadtbüchereien, kirchliche Einrichtungen, Frauenhäuser und andere Zufluchtsstellen, Träger der allgemeinen Wohlfahrtspflege, politische Stiftungen, Berufsverbände im Gesundheitsbereich und weitere mehr.
6. Lernziele & Modulabschluss
Diskriminierende Vorfälle am Arbeitsplatz sind häufiger, als etliche Menschen vermuten. Sie haben als Einzelperson viele Möglichkeiten, in diskriminierenden Situationen hilfreich einzugreifen und zur Vorbeugung von diskriminierendem Handeln beizutragen.
Lernziele:
- Sie kennen Handlungsmöglichkeiten, um Diskriminierung im Arbeitsumfeld vorzubeugen und entgegenzuwirken.
- Ansprechbar sein und jeden Vorfall ernst nehmen stellen wichtige Interventionen dar.
Vielen Dank, dass Sie dabeigeblieben sind und dieses Selbstlernangebot genutzt haben!
Sie sind am Ende des letzten Lernpfades angekommen.
Bitte setzen Sie sich mit den folgenden Fragen auseinander:
Gibt es Themen und Bereiche, die Sie weiter für sich vertiefen möchten? Sind Sie auf neue Fragen aufmerksam geworden, an die Sie vorher nicht gedacht haben?
Mit welchen Ansätzen und Inhalten dieses Selbstlernangebotes konnten Sie möglicherweise weniger anfangen? Welche Haltung, welches Vorgehen haben Sie stattdessen für sich erarbeitet?
Wir bedanken uns bei Ihnen für die Zusammenarbeit auf dieser Lernplattform – und freuen uns, wenn Sie intrahealth.de weiterempfehlen, wenn Sie davon profitiert haben.
Quellenangaben
Alegria, Christine Aramburu (2011): Transgender identity and health care: Implications for psychosocial and physical evaluation. In: Journal of the American Academy of Nurse Practitioners 23, H. 4, S. 175–182.
Antidiskriminierungsstelle des Bundes. „Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz? Leitfaden für Beschäftigte, Arbeitgeber und Betriebsräte“. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Leitfaeden/leitfaden_was_tun_bei_sexueller_belaestigung.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (Abfrage 25.8.2023).
Bockting, Walter/Knudson, Gail/Goldberg, Joshua Mira (2006): Counseling and mental health care for transgender adults and loved ones. In: International Journal of Transgenderism 9, 3-4, S. 35–82.
Crenshaw, Kimberle (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. In: Feminist Legal Theory, H. 1, S. 139–167.
Dennert, Gabriele (2005): Die gesundheitliche Situation lesbischer Frauen in Deutschland. Herbolzheim: Centaurus.
Dennert, Gabriele (2022): Intersektionalität. Vortrag, Fachhochschule Dortmund.
Dimant, Oscar E./Cook, Tiffany E./Greene, Richard E./Radix, Asa E. (2019): Experiences of transgender and gender nonbinary medical students and physicians. In: Transgender Health 4, H. 1, S. 209–216.
Goldberg, Abbie E./Kuvalanka, Katherine A./Budge, Stephanie L./Benz, Madeline B./Smith, JuliAnna Z. (2019): Health care experiences of transgender binary and nonbinary university students. In: The Counseling Psychologist 47, H. 1, S. 59–97.
Grant, Jaime M./Mottet, Lisa A./Tanis, Justin/Herman, Jody L./Harrison, Jack/Keisling, Mara (2010): National transgender discrimination survey report on health and health care. Findings of a study by the national center for transgender equality and the National Gay and Lesbian Task Force.
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Namie, Gary/Ludgen-Sandvik, Pamela (2010): Active and Passive Accomplices: The Communal Character of Workplace Bullying. In: International Journal of Communication, H. 4, S. 343–373.
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Scherr, Albert (2017): Soziologische Diskriminierungsforschung. In: Scherr, Albert/El-Mafaalani, Aladin/Yüksel, Gökçen (Hrsg.): Handbuch Diskriminierung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. S. 39–58.
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