Lernpfad 1: Basiswissen
Geschlecht und Gesundheit
Lernmodul 4: Basics Transgeschlechtlichkeit
Bearbeitung ca. 15-20 Min.
1. Erste Schritte & Lernziele
Dieses Modul bietet einen Einstieg, um sich als Fachkraft in der Gesundheitsversorgung mit Transgeschlechtlichkeit zu befassen. Im nachfolgenden Lernpfad 2 findet sich ein weiteres Lernmodul zu „Transgeschlechtlichkeit“, das auf diesem Modul aufbaut.
Lernziele:
- Transgeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff, der unterschiedlich definiert wird – je nachdem, wie der Begriff gefasst wird, besteht eine gewisse Spannbreite hinsichtlich des geschätzten Anteils von trans Menschen in der Bevölkerung.
- Dieses Lernportal verwendet trans als Bezeichnung für Personen, deren gelebtes Geschlecht von dem Geschlecht abweicht bzw. früher abwich, das ihnen nach der Geburt zugewiesen wurde und die
- medizinische und/oder rechtliche Maßnahmen in Anspruch genommen haben oder dies planen, um geschlechtskörperliche Merkmale oder den Personenstand an ihr gelebtes Geschlecht anzugleichen und/oder
- die sich selbst als trans bezeichnen
- Es gibt Menschen, deren gelebtes Geschlecht vom zugewiesenen Geschlecht abweicht, die sich selbst jedoch nicht als trans bezeichnen und die auch keine rechtlichen oder medizinischen Maßnahmen nutzen (möchten) – diese Personen werden im Lernportal als geschlechter-nonkonform bezeichnet.
- Im neuen ICD-11 wird Transgeschlechtlichkeit nicht mehr als psychische Erkrankung, sondern als eine für die Gesundheitsversorgung relevante Kategorie verstanden.
2. Transgeschlechtlichkeit: Begriff
Transgeschlechtlichkeit als Sammelbegriff
Transgeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff, der unterschiedlich definiert wird. Gemeinsam ist allen Begriffsverständnissen, dass sie sich auf die geschlechtliche Identität und Selbstbezeichnung von Menschen beziehen.
Eine häufige Definition lautet, dass die geschlechtliche Identität bzw. Selbstbezeichnung von transgeschlechtlichen Menschen (dauerhaft) von der Geschlechtskategorie abweicht, denen eine Person nach der Geburt zugeordnet wurde.
Transgeschlechtlichkeit wird unterschiedlich verstanden
Allerdings sehen sich nicht alle Menschen, für die diese breit angelegte Definition zutreffen würde, selbst auch als trans. So gibt es z.B. Personen, die für sich geschlechtliche und sexuelle Identität und Selbstbezeichnung nicht trennen, und für die beispielsweise Konzepte wie Schwul- oder Lesbischsein neben einem sexuellen Ausdruck auch ein geschlechtliches Selbstverständnis beinhalten, das nicht identitär „weiblich“ oder „männlich“ ist. Diese Personen nutzen oft nicht den Begriff trans für sich, obwohl sie unter die o.g. breite Definition fallen würden.
Die Diskussionen, wie Begriffe zu verstehen sind, werden immer wieder auch kontrovers geführt.
Das Verständnis dieses Lernportals des Begriffes „Transgeschlechtlichkeit”
Dieses Lernportal versteht Transgeschlechtlichkeit im folgenden Sinne:
Wir verwenden trans als Bezeichnung für Personen, deren geschlechtliches Selbstverständnis von der Geschlechtskategorie abweicht, das ihnen nach der Geburt zugewiesen wurde und die
- medizinische und/oder rechtliche Maßnahmen in Anspruch genommen haben oder dies planen, um geschlechtskörperliche Merkmale oder den Personenstand an ihr gelebtes Geschlecht anzugleichen und/oder
- die sich selbst als trans bezeichnen.
Dieses Lernportal verwendet diese Definition auch deshalb, weil wir sie für besonders relevant für die gesundheitliche Versorgung halten: Hinsichtlich der körperlichen Versorgung ist es wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass die Körperlichkeiten von Menschen heterogen sein können – unabhängig davon, wie ihr geschlechtlicher Ausdruck oder ihr Personenstand ist. Und gleichermaßen kann die geschlechtliche Identität und Selbstbezeichnung verschieden sein, auch dann, wenn die körperlichen Dimensionen von Geschlecht einer Person vermeintlich eindeutig sind.
Bevölkerungsanteil
Je nach Begriffsverständnis und Erhebungsmethode schwanken die Angaben zum Bevölkerungsanteil von trans Personen in Deutschland erheblich zwischen deutlich unter einem Prozent bis zu niedrigen einstelligen Prozentangaben.
Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) schätzt den Bevölkerungsanteil zwischen 0,4 % und 0,6 % (Regh et al., 2023).
Was ist Transgeschlechtlichkeit?
Andrea Jüsgen und Eric Barth über Transgeschlechtlichkeit.
3. Sprache und Kommunikation
Was denken Sie zu folgender Frage?
Sprache ist bedeutsam und wandelbar
Die Begriffe im Bereich geschlechtlicher Heterogenität und Diversität unterliegen seit einiger Zeit einem starken Wandel. So werden heute andere Begriffe verwendet als beispielsweise noch vor zehn Jahren. Auch das Verständnis bestimmter Begriffe, die scheinbar durchgehend Verwendung finden, kann sich über die Zeit erheblich verändert haben.
Grundlegend gilt deshalb die Empfehlung, für die geschlechtliche Identität die Selbstbezeichnung der jeweiligen Person zu nutzen. Diese kann nicht erschlossen oder erraten werden. Respektvolles Nachfragen ist zumeist die einzige Möglichkeit, diese zu erfahren. Weitere Möglichkeiten sind Dokumentationen von Behandlungsabläufen in der Gesundheitsversorgung wie die eigenen Behandlungsunterlagen, sogenannte Arzt- oder Pflegebriefe und ähnliche Übergabedokumente.
Transgeschlechtlichkeit
Transgeschlechtlichkeit ist aktuell ein neutral konnotierter Oberbegriff, der allgemein verwendet wird.
Der Begriff der Transsexualität hingegen wird in Kontakten der Gesundheitsversorgung nur noch dann empfohlen, wenn Menschen den Begriff für ihre eigene geschlechtliche Biografie nutzen. Der Begriff entstammt dem angloamerikanischen Raum, in dem „sex“ die körperlichen Aspekte von Geschlecht bezeichnet. Im Deutschen kann der Begriff zu Verwechslungen zwischen geschlechtlichen und sexuellen Aspekten der Identität beitragen und wird deshalb als problematisch betrachtet. Auch lehnen ihn verschiedene trans-aktivistische Organisationen ab, weil er Assoziationen zur medizinischen Pathologisierung von trans Biografien weckt (Sauer 2018; TransInterQueer e.V., 2021: 10).
Trans als Adjektiv
Es hat sich verbreitet, „trans“ in Kleinschreibung als Adjektiv zu verwenden, also beispielsweise: trans Frau, trans Mann oder trans Person. Dabei wird das Geschlecht genannt und genutzt, mit dem sich die Person selbst beschreibt (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2023 [2021]).
Das Adjektiv „trans“ kann dabei als Abkürzung für eine Reihe von Begriffen verstanden werden wie z.B. transgeschlechtlich, transident, transsexuell oder transgender.
Transident betont den Identitätsaspekt, transgender verweist begrifflich auch auf die sozialen Aspekte von Geschlecht.
Sie werden häufig auch die Schreibweise „trans*“ mit Sternchen sehen und lesen. Es gibt verschiedene Argumentationen von trans- aktivistischen Gruppen, welche Schreibweise genutzt werden sollte. Für diese Selbstlernplattform mussten wir eine Entscheidung treffen und haben uns für die Schreibweise trans (ohne Sternchen) entschieden.
4. Transgeschlechtlichkeit und Medizin
Neues Verständnis im ICD-11
Im Januar 2022 trat der ICD-11 in Kraft, die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD). Mit dem ICD-11 wird Transgeschlechtlichkeit nicht mehr als psychische Krankheit geführt wie in den ICD-Ausgaben davor.
Transgeschlechtlichkeit wird im ICD-11 im Kapitel „17 Conditions related to sexual health“ (Zustände mit Bezug zur sexuellen Gesundheit) geführt. Die Bezeichnung lautet „Gender Incongruence“, also Geschlechtliche Inkongruenz.
Geschlechtliche Inkongruenz
Geschlechtliche Inkongruenz ist dort folgendermaßen definiert: „Geschlechtliche Inkongruenz ist gekennzeichnet durch eine deutliche und anhaltende Nichtübereinstimmung zwischen dem erlebten sozialen Geschlecht und dem zugewiesenen biologischen Geschlecht. Geschlechtsvariantes Verhalten und Präferenzen sind für sich alleine genommen keine Grundlage für eine Diagnose in dieser Gruppe.“ (vgl. auch: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2023)
Im älteren ICD-10 wird Transgeschlechtlichkeit noch unter dem Begriff „Transsexualismus“ im Kapitel der psychischen Störungen und Erkrankungen aufgelistet. Die Neuerungen im ICD-11 hingegen spiegeln einen Paradigmenwechsel dahingehend, dass geschlechtliche Inkongruenz nicht mehr grundsätzlich als pathologisch angesehen wird.
Die S3-Richtlinie der AWMF
Bereits seit 2018 existiert eine S3-Behandlungsleitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) zur gesundheitlichen Versorgung von trans Menschen. Die Leitlinie heißt „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung“ und steht im Jahr 2023 zur Überarbeitung an.
Die Empfehlung der Leitlinie ist, trans Personen qualitativ hochwertig zu beraten, eine Psychopathologisierung zu vermeiden und keine Maßnahmen gegen den Willen der Personen vorzunehmen, wie z.B. psychotherapeutische Interventionen (Seikowski 2022: 41).
Diese Leitlinie hat allerdings keinen bindenden Stellenwert in der Gesundheitsversorgung, so dass die Praxis der Gesundheitsversorgung aktuell noch oftmals von den Empfehlungen abweicht (Pöge et al. 2020: 11). Mehr dazu wird im Lernpfad 2 im Aufbaumodul zu Transgeschlechtlichkeit erläutert.
Vorerfahrungen prägen das Gesundheitsverhalten
Die InTraHealth-Studie (2020) hat gezeigt, dass etliche trans Menschen die Psychopathologisierung ihrer geschlechtlichen Situation als belastend und diskriminierend empfinden. Diese Erfahrungen, die trans Menschen mit der Gesundheitsversorgung machen (mussten), können im weiteren Verlauf des Lebens dazu beitragen, dass auch im Bedarfsfall erforderliche Gesundheitsversorgung nur verzögert oder gar nicht mehr aufgesucht wird.
5. Lernziele & Modulabschluss
Transgeschlechtlichkeit und das Adjektiv trans stellen neutrale bzw. affirmative Begriffe dar.
Im aktuellen ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation stellt – anders als zuvor – Transgeschlechtlichkeit (Geschlechtliche Inkongruenz im ICD-11) an sich keine psychische „Störung“ oder Erkrankung mehr dar. Die WHO hat hier eine Entpathologisierung vorgenommen, die jedoch in der deutschen Versorgungslandschaft noch nicht überall umgesetzt wird.
Lernziele:
- Transgeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff, der unterschiedlich definiert wird – je nachdem, wie der Begriff gefasst wird, besteht eine gewisse Spannbreite hinsichtlich des geschätzten Anteils von trans Menschen in der Bevölkerung.
- Dieses Lernportal verwendet trans als Bezeichnung für Personen, deren gelebtes Geschlecht von dem Geschlecht abweicht bzw. früher abwich, das ihnen nach der Geburt zugewiesen wurde und die
- medizinische und/oder rechtliche Maßnahmen in Anspruch genommen haben oder dies planen, um geschlechtskörperliche Merkmale oder den Personenstand an ihr gelebtes Geschlecht anzugleichen und/oder
- die sich selbst als trans bezeichnen
- Es gibt Menschen, deren gelebtes Geschlecht vom zugewiesenen Geschlecht abweicht, die sich selbst jedoch nicht als trans bezeichnen und die auch keine rechtlichen oder medizinischen Maßnahmen nutzen (möchten) – diese Personen werden im Lernportal als geschlechter-nonkonform bezeichnet.
- Im neuen ICD-11 wird Transgeschlechtlichkeit nicht mehr als psychische Erkrankung, sondern als eine für die Gesundheitsversorgung relevante Kategorie verstanden.
Bitte setzen Sie sich mit der folgenden Frage auseinander.
Sehen Sie sich Ihre Einschätzung in Abschnitt 3 (Sprache und Kommunikation) nochmals an – hat sich Ihre Einschätzung durch das mittlerweile Gelesene verändert oder ist sie gleichgeblieben?
Quellenangaben
Antidiskriminierungsstelle des Bundes. „trans*“. Berlin. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/diskriminierungsmerkmale/geschlecht-und-geschlechtsidentitaet/trans/trans-node.html [letzter Zugriff am: 31.01.2023]
Pöge, Kathleen/Dennert, Gabriele/Koppe, Uwe/Güldenring, Annette/Matthigack, Ev B. & Rommel, Alexander (2020): Die gesundheitliche Lage von lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen. In: Journal of Health Monitoring 5, S1, S. 1–30.Berlin. https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/6534/JoHM_S1_2020_Gesundheitliche_Lage_LSBTI.pdf?sequence=1&isAllowed=y). [letzter Zugriff am: 31.01.2023]
Regh, Alexander/Wißgott, Sandra/Weitzel, Petra (2021): „Zahlenspiele“. Herausgegeben von Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. Braunschweig. https://dgti.org/2021/08/12/zahlenspiele/. [letzter Zugriff am: 31.01.2023]
Sauer, Arn „LSBTIQ-Lexikon. Grundständig überarbeitete Lizenzausgabe des Glossars des Netzwerkes Trans*Inter*Sektionalität“. Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn. https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/geschlechtliche-vielfalt-trans/245426/lsbtiq-lexikon/ [letzter Zugriff am: 31.01.2023]
Seikowski, Kurt (2022): Zur Problematik der Psychopathologisierung von Transsexualität. Ein Update. In: Maier-Höfer, Claudia/Schreiber, Gerhard (Hrsg.): Praktiken von Transdiskursen. Ein multidiszipplinärer Zugang. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. S. 29–44.
TransInterQueer e.V. „Trans* Inter* Queer ABC“. Herausgegeben von TransInterQueer e.V. Berlin. https://www.transinterqueer.org/wp-content/uploads/2021/11/TrIQinfo-ABC.pdf [letzter Zugriff am: 31.01.2023]
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2022): ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung. ICD-11 für Mortalitäts- und Morbiditätsstatistiken (MMS). [letzter Zugriff am: 31.01.2023]